Aus der Reihe ‘Geschichten aus dem Kiez’ – Liebe zum Pflegeberuf
Seit vier Jahren arbeitet Anna als Krankenpflegerin im DRK-Klinikum im Soldiner Kiez, besonders das vergangene Jahr war hart: Patienten aus verschiedensten Fachrichtungen, massive Unterbesetzung und Trauer sind seitdem keine Ausnahme mehr, aber war es vorher anders?
Liebe Leser*innen,
mit dieser neuen Reihe auf unserer Website, möchten wir viele verschiedene Menschen aus den verschiedensten Branchen vorstellen aus dem Kiez: Von Pfleger*innen über Lehrer*innen bis hinzu Tischler*innen. Wie sieht ihre Arbeit im Kiez aus? Was sind die Schwierigkeiten? Warum lieben sie ihren Beruf? Wenn Sie jemanden kennen, der einen interessanten Beruf im Kiez ausübt oder Sie selbst Ihren Beruf vorstellen möchten, kontaktieren Sie uns gerne! Und jetzt viel Spaß beim Lesen unseres ersten Artikels aus der Reihe:
Mittwochnachmittag im Kiez. Passend zum Thema stehen im Kiez gleich zwei Kliniken. Anders als in vielen deutschen Städten hat sich hier die Nachbarschaft jedoch nicht darauf geeinigt, pünktlich um 21 Uhr für die Pflegekräfte zu applaudieren – auch nicht im ersten Lockdown. Das war vielleicht eine schöne Geste, aber gebracht hat sie im Endeffekt auch nichts, denke ich. Aus meiner Heimatstadt in Westdeutschland weiß ich nämlich, dass der Applaus proportional zu den sinkenden Fallzahlen im Sommer abnahm, bis er schließlich ganz wegblieb.
Aber zurück zum Hier und Jetzt. 12.02.2021 15:28 Uhr, ich schaue aus dem Fenster: Grauer Nebel und ein Schneemantel bedecken den Kiez, sodass er beinahe verschwindet. Korrekterweise warte ich noch zwei Minuten, bis ich meine Gesprächspartnerin anrufe. Anna, eine Krankenpflegerin, Mitte zwanzig; sie arbeitet seit vier Jahren auf der Diabetologie-Station des örtlichen DRK-Klinikums. „Mit dem Applaus hätte ich mir das erträumte Auto auch nicht kaufen können“, sagt sie und ist mir mit ihrer sarkastischen Art sofort sympathisch. Vor der Pandemie sei die Arbeit auch schon hart gewesen, aber das würde nur Wenige interessieren, weil erst jetzt darüber berichtet würde, fährt sie wütend fort. Ihre Erschöpfung spüre ich durch das Telefon und ironischerweise passt ihre Stimmung zum tristen Wetter.
Mehr Arbeit durch mehr Helfer:innen?
Den Daten des statistischen Bundesamts zufolge, stieg die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen 2015 und 2017 um 19 %. Tendenz? Steigend, denn aufgrund des demografischen Wandels ist davon auszugehen, dass die Zahl konstant zunehmen wird. Der geringe Zuwachs der Auszubildenden im Pflegebereich wird dem nicht gerecht. Laut Bundesministerium für Familien, Senioren und Jugend stieg 2019/20 die Zahl der Auszubildenden im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 8,2 %. Dem stimmt auch Anna zu: „Schon vor Corona waren wir massiv unterbesetzt. Es werden zwei Vollpflegekräfte für 39 Patienten eingesetzt. Dazu kommen zwar Praktikanten, aber die sind keine große Hilfe.“ Als ich meine Empörung über die Zustände äußere, lacht sie nur kurz auf und treibt den Wahnsinn auf die Spitze: „Im Nachtdienst sind wir sogar allein.“
Franziska Böhler, Krankenpflegerin und Autorin berichtet ebenfalls über diese Missstände. In vielen Pflegeheimen seien nur 40 % der Beschäftigten Fachkräfte, den großen Rest stellen Helfer:innen dar. Das sei gefährlich, denn diese seien nicht gut genug ausgebildet, um auf Symptome oder Veränderungen adäquat zu regieren und damit fällt mehr Last auf die Schultern der Pflger:innen. „Solange die Bezahlung der Arbeit nicht gerecht wird und die Ausbildung nicht attraktiver, wird das nichts bewirken“, reagiert Anna auf Kampagnen der Bundesregierung, mit Hilfe derer die Zahl der Auszubildenden im Pflegebereich bis 2023 um 10 % gesteigert werden soll. Außerdem würde die Schichtarbeit während der Ausbildung nicht gerecht aufgeteilt, was sie unattraktiv mache, so Anna. ‚Kettenarbeit‘ beispielsweise sei nicht unüblich: „Wir hatten 10 Tage hintereinander Frühschichten, ab dem 6 Tag hast du nur noch funktioniert und konntest hoffen, keine bedrohlichen Fehler zu machen.“, erinnert sie sich. Durch ihre lebhaften Erzählungen bilde ich mir sogar den typischen Krankenhaus-Geruch ein – eine Mischung aus Desinfektionsmittel, Latexhandschuhen und Borwasser.
Einer unter 19
Wenn das noch nicht genug wäre, sind laut statistischen Bundesamts 80 % der Pfleger:innen Frauen; das bestätigt auch Anna: „Auf unserer Station ist ein Mann unter 19 Frauen beschäftigt.“ Das ist ein Problem, denn die Arbeit ist kräftezehrend – besonders in der Diabetologie seien viele Patient:innen übergewichtig und müssen wegen ihrer Wunden mehrmals am Tag gewaschen werden, erzählt sie. Da denkt sogar die Feministin in mir, dass Männer, die aus biologischer Sicht natürlich stärker sind, große Abhilfe verschaffen könnten. „Seit Corona ist es noch härter“, seufzt sie, „viele Stationen wurden für Corona-Patienten geschlossen und auf andere verlegt. Es kam sogar vor, dass wir Patienten aus fünf verschiedenen Fachrichtungen behandeln mussten.“ Das ist problematisch, denn so kann keine fachliche Hilfe geboten werden. Sie sagt das mit so einer Fürsorge in der Stimme, dass ich sie mir in dem Moment mit leuchtenden Augen vorstelle – trotz allem. Meine Vermutung bestätigt sich, als sie hinterherwirft, dass sie ihren Job wirklich liebe, auch wenn es manchmal hart sei.
Trotzdem verspüre ich besonders Wut und Trauer, denn sie berichtet über die Menschen, die an oder mit Corona allein sterben müssen. Weil die Pfleger:innen chronisch unterbesetzt sind, können sie oft nicht bei ihnen sein und Angehörige werden ohnehin nicht reingelassen.
Mittlerweile ist es dunkel geworden, wir verabschieden uns und ich bin hin und her gerissen zwischen Frohsinn, weil es Pfleger:innen gibt, die eine Berufung in ihrer Arbeit gefunden haben, Wertschätzung, denn offensichtlich würden wir ohne sie nicht durch die Pandemie kommen – und Hoffnung in den Kampagnen der Bundesregierung.