Jovan Balov verlässt unser glückliches Dorf

Der Künstler und Kurator Jovan Balov war über den Kiez hinaus bekannt und beliebt. Nun ist er verstorben. In Erinnerung an ihn veröffentlichen wir hier einen Nachruf, welchen der Autor und Soziologe Thomas Kilian (Soldiner Kiez e.V.) verfasst hat.

„Der Soldiner Kiez ist ein glückliches Dorf.“ Das war die Beschreibung von Jovan Balov für unser angeblich so verkommenes Viertel. Tatsächlich gehörte er zu den Menschen, die Netzwerke ziehen, die das Glück der Beteiligten vermehren. Dabei machte der Künstler es seinen Angehörigen und Freund:innen durchaus nicht einfach, sondern hielt auf seine angenehme Art eine anregende Spannung aufrecht. Leider ist er dieser Tage nach schwerer Krankheit dann doch recht plötzlich im Alter von 60 Jahren verstorben.

Im Soldiner Kiez werden ihn viele vermissen. Darüber hinaus hat sich Jovan um die Berliner Gemeinschaft aus Ex-Jugoslawien und auf dem Balkan bei der Überwindung des Nationalismus verdient gemacht. Dafür ist er in Griechenland und in dem Lande seiner Herkunft, das jetzt Nordmakedonien heißt, mit zahlreichen Ehrungen bedacht worden. Nach Berlin kam er 1989. Seit 2004 betrieb er die Galerie Prima Center Berlin in der Biesentaler Str. 24. Diese zeichnete sich neben hoher Qualität dadurch aus, dass es dort fast immer vierzehntäglich etwas Neues zu sehen gab. Jovan zeigte neben Berliner Künstler:innen vor allem solche aus den Balkanländern. Die Galerie war nicht nur ein kulturelles Zentrum im Kiez, sondern auch eine Botschaft für den europäischen Südosten. Seine Tochter Paula Balov führt sie zusammen mit dem Queer-Projekt  PINKDOT weiter.

Am Sonntag, den 6. November 2022, wäre Jovan 61 Jahre alt geworden. Dieser Termin wurde von seiner Familie ausgewählt, um im Prima Center öffentlich seiner zu gedenken. Ab 12.00 Uhr ist dort Jovans eigene Kunst zu sehen. Bis Mitternacht gehen dort viele ein und aus, die ihn gekannt haben. Sein Porträt des Soziologen und Künstlers Urs Jaeggi ist bis Anfang Februar 2023 in der Galerie Wolf & Galentz, Wollankstr. 112a, zu sehen. Infos zu dieser Sammelausstellung finden sich unter:  https://wolf-galentz.de/blog/42-standpunke-nach-dreieinhalb-jahren-galerie-wolf-galentz Die Spätwerke Jovans wirken wie Fotos im Sepiaton, sind aber gleichzeitig so konstruiert, dass die jeweilige Persönlichkeit akzentuiert wird.

Jovan hat in diesem fotorealistischen Spätwerk vor allem Angehörige und Freunde dargestellt. Die enge Verbundenheit war für das idealisierende Konzept wohl hilfreich. Bei Jovans Schaffensprozess konnte ich Intensivität und Sympathie in der Auseinandersetzung mit dem:der Dargestellten gut nachvollziehen. Das Studium der Person des:der Portraitierten war aufwändiger als das Gestalten, das ihm verblüffend gelang. Er malte seine großformatigen, scheinbar fotorealistischen Bilder ohne Raster und Hilfsmittel frei aus der Hand, besserte sie aber auch immer wieder nach. Seine Zuneigung drückte Jovan oft dadurch aus, dass er den Personen besonders strahlende Augen verpasste. Er idealisierte sie also bei allem Realismus positiv, wie es seiner Menschenfreundlichkeit entsprach. Die Bilder wurden in zahlreichen europäischen Ländern in Museen und Schauen gezeigt.

Jovan war in dem Künstlerverbund Kolonie Wedding immer wieder eine Zentralgestalt, der Projekte anschob, und den Kolleg:innen immer ein hilfreicher Freund. Auch wir vom Soldiner Kiez e.V. hielten engen Kontakt. Mal portraitierte er uns in einer Fotoreihe als “Engel vom Kiez”, mal stellte er seine Galerie für unsere interreligiösen Gespräche zur Verfügung, mal erzählte er uns auch einfach Interessantes und Bezeichnendes aus der ehemaligen jugoslawischen Dissidentenszene der 80er Jahre. Er verfügte über vielfältige, aktuelle Einsichten ebenso wie über einen weiten historischen Horizont. Wohl nur wenige Außenstehende werden solch einen weltumspannenden Geist ausgerechnet in der mutmaßlichen Provinzialität eines sogenannten Problemviertels vermuten.

Ich verstehe vielleicht zu wenig von Kunst und Kultur, um zu prophezeien, wie sich die Kunstwelt an Jovan erinnern wird. Als Soziologe wage ich die Aussage, dass Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über solche Menschen mitunter einfach hinweggehen. Ich denke, sie tun nicht gut daran. Wir im Kiez werden ihn jedenfalls in bester Erinnerung behalten.

Autor: Thomas Kilian